Die Zeit, 15 April 2009

Wörterbericht: Neudeutsch

Die Benutzer des Wörtchens »neudeutsch« sind oft unsympathische Menschen. Für sie ist die Sprache ein Wohnzimmer, in dem alles seinen Platz hat und bloß nichts verrückt werden soll. Sie sehnen sich nach Verlässlichkeit, wollen das aber nicht zugeben. Deshalb haben sie ein auch nicht gerade altes Wort okkupiert, mit dem alle frischen, neuen Wörter verunglimpft werden können.

Das Wort »neudeutsch« selbst wurde nämlich erst 1926 erfunden, von Kurt Tucholsky höchstpersönlich. Er ereiferte sich damals über Modewörter wie Frischwasser, Altkleider und beziehungsweise – »lallendes Gestammel wichtigtuerischer Journalisten«.

Uns kommen diese Wörter inzwischen selbstverständlich, ja geradezu altdeutsch vor. Neudeutsch ist mittlerweile eher ein Synonym für »englisch« geworden. So wird zum Beispiel behauptet, Performance wäre neudeutsch für Leistung. Das ist aber kein neues deutsches Wort, sondern nur der falsche Gebrauch einer fremden Sprache.

In einem Leserbrief in der Berliner Zeitung hieß es kürzlich: »Dass die SPD in Hessen nicht nur verlieren würde, sondern, neudeutsch gesagt, völlig abstinken, war vorherzusehen.« Das schöne Abstinken ist bereits auf dem besten Weg ins altdeutsche Sprachwohnzimmer.