Musik aus der Wolke
Tag und Nacht Lieblingslieder im Netz hören, kostenlos oder gegen Gebühr: Der Internetdienst Spotify könnte die Lösung des Raubkopieproblems sein
Ausgerechnet Stockholm. Wer hätte gedacht, dass gerade in der netten nordischen Stadt die Zukunft der Musikindustrie ausgefochten wird? Vor kurzem wurden dort vor dem Ersten Schwedischen Gerichtshof die Betreiber der illegalen Tauschbörse The Pirate Bay verurteilt.
Fast gleichzeitig zur Verfahrenseröffnung im vergangenen Jahr ging, nur wenige Straßen weiter, der Internetdienst Spotify ans Netz, der sich als die Lösung aller Raubkopieprobleme erweisen könnte. Zugegeben, diese Lösung ist anders, als sie sich die Musikindustriekapitäne vorgestellt haben: Die Erfinder von Spotify wollen die Musik der ganzen Welt kostenlos anbieten.
Benutzer des Dienstes haben Zugriff auf eine Online-Bibliothek von ungefähr sechs Millionen Titeln, die sie ohne Zeitverzögerung und mit dem Segen der Labels anhören können – so oft sie wollen und jederzeit. Das neue Album von Madonna, das Gesamtwerk Stevie Wonders, alles ist verfügbar. Man kann persönliche Playlists anfertigen – ganz wie auf stationären Abspielprogrammen wie iTunes. Nur blockiert die digitale Musiksammlung nicht mehr die eigene Festplatte, sondern liegt ausgelagert auf schwedischen Servern.
Kunden von Spotify können nicht nur auf physische Tonträger wie CDs verzichten, auch das illegale Herunterladen von Musik wird überflüssig. Warum sollte man sich den Computer mit kriminell kopierten Dateien füllen, wenn man ganz legal auf eine Serverfarm voller digitaler Musik zugreifen kann? Mehr noch: Die Idee des Musik-Besitzens wird dadurch zunichte. Die Kulturtechnik Musik scheint sich, nach ihrer digitalen Umwandlung in Einsen und Nullen, endgültig im Virtuellen aufzulösen.
Soweit zum Konzept. Die praktische Umsetzung hat – natürlich – mehrere Haken. Erstens hat sich die Musikindustrie logischerweise nicht selbst in eine öffentliche Leihbibliothek verwandelt. Geld soll Spotify schon einspielen. Das kommt aus der Werbung: Zwischen den Liedern werden in regelmäßigen Abständen 30-sekündige Spots gesendet. Für eine Monatsgebühr von knapp zehn Euro kann man jedoch einen werbefreien Premium-Zugang erwerben.
Zweitens ist die Musikauswahl nicht ganz so umfassend, wie es auf der quietschgrünen Spotify-Website dargestellt wird. Von vielen Bands sind nur aktuelle Alben verfügbar, und manche Schwergewichte, wie etwa The Beatles oder Metallica, fehlen ganz. Auch Liebhaber auf der Suche nach unbekannten Bands oder vergessenen Stücken müssen weiterhin die Plattenkartons auf analogen Flohmärkten durchstöbern.
Und schließlich gibt es sogar in der freien Welt von Spotify die unsäglichen Ländergrenzen, die die Musikindustrie auf dem digitalen Markt behauptet: Das Angebot ist für deutsche Benutzer nicht unbedingt dasselbe wie für britische. Überhaupt ist das Angebot sehr vom Aufenthaltsort des Benutzers abhängig. Der kostenlose Zugang ist bisher nur in Großbritannien verfügbar, in Schweden,Norwegen, Finnland, Spanien, Frankreich und den Niederlanden kommt man lediglich per Einladung rein. In Deutschland gibt es nur den kostenpflichtigen Premium-Zugang.
Diese rigide Zugangsbegrenzung hat einen ökonomischen Hintergrund: Erst kürzlich machten ähnliche werbefinanzierte Angebote wie Sprialfrog oder Ruckus Pleite, obwohl sie bis zu zwei Millionen Benutzer verzeichneten. Hohe Benutzerzahlen treiben jedoch die Serverkosten und Lizenzgebühren in die Höhe, die in einem schwächelnden Anzeigenmarkt nicht mehr ausgeglichen werden können. Spotify hingegen wünscht sich ganz offensichtlich ein kontrolliertes Wachstum.
Man könnte nun, trotz der ganzen Aufregung, die Spotify zurzeit in vielen Musikblogs auslöst, berechtigterweise fragen, was denn der große Unterschied zu etablierten Internetradiostationen wie Last.fm sein soll. Auch dort können die Benutzer personalisierte Konten mit ihrer Lieblingsmusik anlegen, die Musikauswahl ist auf Last.fm sogar größer.
Die beiden Dienste sind sich in ihrem Angebot tatsächlich sehr ähnlich, die Stoßrichtung von Spotify ist jedoch eine ganz andere. Soziale Netzwerk-Möglichkeiten wie auf Last.fm gibt es bei Spotify nicht, nur die Playlists können unter den Benutzern getauscht und gemeinsam erstellt werden. Spotify zielt vielmehr auf das persönliche, private Hören und ist damit dem Phänomen desCloud Computing näher als dem Internetradio. Unter Cloud Computing versteht man das Verlegen von wichtigen Anwendungen, wie etwa der Textverarbeitung, vom heimischen PC in die “Wolke” des Internets.
Ganz so revolutionär, wie es sich zuerst anhört, ist Spotify also nicht. Aber es ist Vorbote eines Paradigmenwechsels, denn falls das Modell Schule macht, würde aus der privaten Musiksammlung dereinst ein Medium wie etwa das Fernsehen: Die Inhalte gibt’s gratis auf das Empfangsgerät, die Sender verdienen ihr Geld mit Werbung. Und wer keine Reklame haben will, muss Gebühren zahlen. Im aussichtslosen Kampf gegen die Musikpiraterie wäre das eine Lösung, die Benutzer wie Produzenten zufrieden stellen könnte.
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